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Macht Tanzen schlau?

Jahrestagung der pädagogischen Sektion für Tanz

vom 23. bis 26.4.2015 in Loheland bei Fulda


Die Deutschen leiden an eingeschlafenen Füßen, die sich bis ins Gehirn fortsetzen.

Roman Herzog, Bundespräsident a.D.

Von der Kälte zur Wärme

Wenn dieses Zitat bereits erschreckend klingt, so sind es die Statistiken von (Quelle?) umso mehr: Der durchschnittliche Medienkonsum deutscher Jugendlicher beträgt derzeit täglich acht Stunden. Dass die so aufgenommenen Inhalte nur oberflächlich be- und ergriffen werden, versteht sich von selbst. Denn es fehlt der Wahrnehmung die dritte Dimension, die Tiefe. Die Auseinandersetzung mit den – größtenteils – digitalen Medien führt über eine weitgehende Bewegungslosigkeit zu einer Kälte, die sich sogar im Absinken der Körpertemperatur äußern kann. Dem Einsatz digitaler Medien zur (Aus-)Bildung eines Menschen steht daher die Aussage Aristophanes’ entgegen, dass einen Menschen zu bilden nicht bedeute ein Gefäß zu füllen (und es gleich wieder zu leeren), sondern ein Feuer zu entfachen.

Allein Musik zu hören aktiviert zahlreiche Gehirnregionen (Quelle?), um wie viel mehr muss dies beim Musizieren oder beim Tanzen der Fall sein. Musik fördert die Verknüpfung von Hirnregionen, das Entwickeln von Planungs- und Koordinierungsfähigkeiten und verbessert das mathematische Verständnis. Zusätzlich aktiviert Tanzen noch den für Kommunikation zuständigen Gehirnteil, was auf eine Vergangenheit des Tanzens als Verständigungsform hinweist. Und es regt eine Vertiefung gedanklicher Prozesse über die bildliche Vorstellungskraft bis hin zur praktischen Umsetzung an. Was der Grund dafür sein mag, dass Tanzen gern zur Demenzprophylaxe und -therapie herangezogen wird.

Dass Tanzen unterstützend auf Fähigkeiten in den kognitiven Fächern wirkt, wurde von Tagungsteilnehmern bestätigt. Es trägt jedoch neben der geistigen Entwicklung auch zur seelischen bei. Denn es erzeugt über äußere Bewegung innere Bewegtheit und Beweglichkeit und damit die von G. Hüther für Kinder dringend geforderte – nicht nur äußerliche – Erwärmung.


Von der Angst zum Mut

Dummheit hängt mit Angst zusammen und Angst mit Enge. Wenn ich zu einem Kinde sage (oder auch nur denke): „Du kannst das nicht“, nehme ich dem Kind die Weite seiner Möglichkeiten, enge es ein, übe Druck aus, der zum Stress wird und Stress bedeutet Verkrampfung. Hier bereits setzt der Tanz an, denn durch die rhythmische, schwingende Bewegung lösen sich Verkrampfungen, ja sogar die Sprachhemmung von Kindern mit Migrationshintergrund. Wenn ich sage: „Du kannst es lernen“, dann kann das Kind beim Tanzen Eigenschaften entwickeln, die wir schlauen Menschen im Allgemeinen zusprechen: Wachheit, Geistesgegenwart, Ideenreichtum, schnelles Reaktions- und Orientierungsvermögen. Und – nicht zuletzt – den Mut, den es benötigt um die Welt zu verändern.

Kinder zu lehren, Angst zu überwinden und Mut zu entwickeln, setzt voraus, dass ich selber Angst überwinden und Begeisterung, Mut entwickeln kann. Dazu gehört auch, dass ich meine Lektion in Sachen Tanz gelernt habe, denn Tanzen ist Kunst und Kunst kommt von Können.


Vom Einzelnen zur Gemeinschaft

Wenn ich bereits so schlau bin, meine eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu kennen sowie mich mit mir selbst in Einklang bringen zu können, kann ich mich auf höherer Ebene schlau machen. Denn sobald ich meine eigenen Schritte beherrsche, kann ich beim Tanzen meine Mittänzer wahrnehmen. Um festzustellen, wie anders sie bei gleicher Bewegungsabfolge doch tanzen! So lehrt mich tanzen nicht nur etwas über mich selbst, sondern auch über meine Mittänzer. Was Voraussetzung für Verständnis und Verständigung ist. Und weshalb einleuchtet, dass die verstärkte Aktivität in der für Kommunikation zuständigen Gehirngegend während des Tanzens nicht von ungefähr kommt.

Wenn ich meine Fähigkeiten und meinen Ort in der Gemeinschaft kenne, kann ich mein Können in die Gemeinschaft einbringen, um sie zu bereichern. Das Schlausein erweitert sich dadurch über meine persönlichen Grenzen hinaus. Es verwundert folglich auch nicht, dass Tanzen als Mediationsinstrument eingesetzt wird. Und es verwundert nicht, dass dort wo Menschen miteinander tanzen, sie sich selber erziehen und bilden (B. Wosien). Was bleibt als Lehrer da zu wünschen übrig?


From dawn till dusk oder: Von der Morgenbegegnung zum Abendtanz

Neben der an Inhalt und Erleben reichen „Tagesarbeit“ in den Tanz-Workshops – u. a. mit Elvira Göbert und Ulla Schüller – und Theorieeinheiten, die immer wieder auf vielfältige Weise an das Thema „Tanzen macht schlau“ anknüpften, war der einzelne Tag im traditionellen Rahmen von Morgeneinstimmung und abendlichem Tanzen eingebettet. Dieser Rahmen sorgte für ein harmonisches Ankommen im Tag ebenso wie für einen schönen Ausklang. Kleine und feine Körper- und Wahrnehmungsübungen, die Freiwillige morgens bei Ulrike Vogt genießen konnten, schufen eine Stimmung von Entschleunigung, Achtsamkeit und „In-Sich-Hineinhorchen“. Darin konnte man wunderbar neue oder bisher „bewusstlose“ Seiten des eigenen Körpers kennen lernen. Und vielleicht stieß der ein oder andere dabei auch unverhofft auf eine körpereigene Intelligenz, die gerade dann erlebbar wird, wenn der ach so schlaue Intellekt schweigt. Ein bisschen schade war es daher, dass einen im direkten Anschluss an diesen belebenden, erfrischenden Tageseinstieg die Theorieeinheit in großer Runde gleich wieder in den Kopf katapultierte…

Mindestens ebenso wichtig wie ein gelungener Beginn ist der Abschluss eines Tages – der fiel mit dem gemeinsamen Tanzen neuer und altbekannter Tänze im Saal des Franziskusbaus immer schön, und manches Mal sogar noch schöner aus. „Schuld“ daran waren neben den zahlreichen Möglichkeiten zur Begegnung die Live-Musik der tagungseigenen Band Fix & Folksi, sowie die spätabendlichen Tanzeinheiten mit Benedikt Lux, die uns stimmungsvoll mit Kerzenlicht in die Nacht entließen.

Bodenarbeit

Der körpereigenen Bewegungsintelligenz konnten die Tagungsteilnehmer in dem dieses Jahr erstmals angebotenen Tanztraining mit Susanne Adam nachspüren. Flach am Boden liegend entwickelten sie – wortwörtlich – eine Tanzsequenz, die in der Aufrechten ihren Abschluss fand. Das Besondere dabei: Durch stufenweises In-Schwingung-Versetzen von immer mehr Körperteilen kostete das Aufrichten weniger Kraft als angenommen. Und: Der Boden konnte als Unterstützer des Sich-Aufrichtens wahrgenommen und schätzen gelernt werden. Auch wenn hernach an ungewohnten Körperstellen ein paar blaue Flecken hinterblieben sind.


Fix & Folksi

Eine, wenn nicht gar DIE Besonderheit der Tanztagung soll noch einmal erwähnt werden: Die Tanzband Fix & Folksi, zumeist bestehend aus sechs Mitgliedern (wenn die Bassistin nicht gerade ihren knapp zwejährigen Sohn vor dem Überranntwerden durch begeisterte aber ansonsten für alles andere blinde Tänzer retten muss). Jeweils zu zweit haben die Bandmitglieder die Unterrichtseinheiten und alle gemeinsam das Abendtanzen live begleitet. Dies ist eine unschätzbare Bereicherung der Tagung, auch im Hinblick auf das Thema. Denn live spielende Musiker fördern und fordern vom Tänzer eine Wachheit im Zuhören, die von keinem elektronischen Gerät erreicht werden kann. Ein dumpfes „Ablatschen“ der Tänze wird dadurch bereits im Keim erstickt. Und die Begeisterung für das Tanzen im Gegenzug um ein vielfach stärkeres geweckt.

Wer besonders wach – oder besser: besonders wenig mit den eigenen Tanzschritten beschäftigt – war, konnte wahrnehmen, wie von Seiten der Musiker eine weitere unschätzbare Unterstützung kam. Nämlich Hinweise auf Bewegungs- und andere Eigenheiten eines Tanzes und der Kultur, der er entstammt. Hinweise die, bewusst oder unbewusst, von allen Tänzern aufgegriffen wurden. Dieses Aufgreifen wird durch etwas ermöglicht, das kein Wiedergabegerät beherrscht: Lebendiges Musizieren und Zuhören, den musikalisch-tänzerischen Dialog. Von Herzen Dank dafür an die Musiker von Fix & Folksi!


In memoriam

Neben der ansonsten dauerhaft vorherrschenden Freude fielen doch zwei Wermutstropfen: Wir gedachten des am Jahresanfang verstorbenen, der Tanztagung über lange Zeit sehr verbundenen Dozenten und Teilnehmers Peter Werner. Und Hildegunde Luther hat sich nach 24 (?) Jahren engagiertester Organisationsarbeit aus dem aktiven Dienst verabschiedet.


Und zum Schluss…

…gab es, wie eben im Lehrbetrieb gemeinhin verbreitet, natürlich eine Leistungskontrolle. Die einzelnen Lerngruppen wurden von den Professores d.c. (dancis causae) einzeln überprüft. Erstaunlicherweise haben alle Tagungsteilnehmer trotz Uneinigkeit und erheblichem Unmut im Lehrkörper sowie erklecklicher Leistungsmängel bestanden.

Fazit: Tanzen macht schlau und tanzen macht Spaß. Dumm ist nur, wer nächstes Jahr nicht mit dabei ist.


Tanztagung 1. bis 4. Mai 2014 in Loheland

„Mädchen tanzen anders – Jungs auch?“Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zur Gemeinschaft
Fachtagung für Tanz in Loheland und während dieser drei Tage blieben alle – Tanzanleiter, Teilnehmer und Musiker – diesem Motto in Wort und Tanz treu. Wie jedes Jahr startete die Tanztagung mit einem Abendessen, bei dem sich die vielen alljährlichen Teilnehmer freudig begrüßten und sich an die Aussicht auf die zauberhafte Hügellandschaft der Rhön wieder erinnerten, und danach mit einer ersten Tanzeinheit. Zur Live-Musik von „Fix & Folksi“ wurden verschiedene einfache Tänze angeleitet und getanzt
und sofort wurde jeder, ob Neuling oder jährlich Wiederkehrender, von eine freudigen Grundstimmung erfasst, Freude an der Bewegung und Freude am miteinander.
In den nächsten beiden Tagen folgten dann die morgendliche Körperarbeit von Ulrike Vogt, die Seminararbeit zum Tagungsthema, Tanzeinheiten in drei Teilgruppen und der abendliche Tanz im großen Kreis..... Mit diesen Worten begann die diesjährige Pädagogische Tanztagung: Das Thema: Wie tanzen Mädchen, wie tanzen Jungs? Wie muss ich auf Mädchen, wie auf Jungs eingehen, wenn ich sie zum Tanzen bringen möchte? Die Thematik der diesjährigen Seminararbeit hat wohl einerseits große gesellschaftliche Dimensionen, zeigt sich andererseits alltäglich beim Tanzen in der Schule, wenn die Jungs „nicht so recht mitmachen wollen“. Zur ersten Standortbestimmung wurden verschiedene typische weibliche und männliche Eigenschaften gesammelt („weich, sozial, ...“, “kraftvoll, wettkampforientiert, ....“, teilweise klischeeverdächtig). Daneben wurden Erfahrungen aus dem Tanztherapiealltag vorgestellt sowie Ergebnisse von Studien, die der Frage nachgehen, wie weit Weibliches und Männliches
angeboren oder anerzogen ist. (Viele Studien tendieren zu Zweiterem.) Liegt das geschlechtsspezifische Verhalten also (materialistisch betrachtet) an den Genen oder doch an der Gesellschaft? Ein Beitrag eines Teilnehmers machte das Bild erst rund: Da gibt es doch aus anthroposophischer Sicht darüber hinaus noch das Wesen, das jeder Mensch aus der geistigen Welt mitbringt. In der zweiten Seminareinheit wurde das Gespräch im Plenum durch Kleingruppengespräche abgelöst. Fragestellungen: Welche Bewegungen/ Tänze kommen jeweils Mädchen/ Jungs mehr entgegen und sollen diese Unterschiede „aufgebrochen“ werden? Wie oft in Kleingruppengesprächen war es auch diesmal: Ob wirklich die Fragestellung beantwortet wurde ist fraglich, aber man kam vielmehr intensiv und lebendig miteinander ins Gespräch und in den Erfahrungsaustausch. Das Spannungsfeld: Mädchen und Jungs sollen nicht geschlechtsspezifisch festgelegt werden, gleichzeitig ist die Alltagserfahrung aber, dass sich Mädchen und Jungs verschieden bewegen. Ein pädagogisch wichtiger Hinweis von einem Teilnehmer: Es kann in der Mittelstufe sehr helfen, ganz bewusst Mädchen männliche Bewegungen/ Tänze machen zu lassen und umgekehrt. Außerdem zeigte sich im Gespräch immer wieder, nicht nur Mädchen und Jungs sind verschieden, sondern Mädchen/ Jungs
untereinander auch. Ausgewählte Tanzvideos von Tanzensembles illustrierten am Ende der zweiten Seminareinheit die Unterschiedlichkeit von Frauen- und Männertanzen Am dritten Seminartag wurden Erfahrungen und (teilweise gegensätzliche) Sichtweisen im großen Kreis zusammengetragen: Jungs sind nicht so kreativ; oder sie sind es doch, aber anders, schwerer in eine Form zu bringen/ in Deutschland tanzen die Männer kaum noch, da fehlen den Jungs die Vorbilder; für weibliche Tanzanleiterinnen ist es da schwer, Jungs authentisch zu erreichen (umgekehrt auch?)/ die Unterscheidung zwischen dem Weiblichen
und Männlichen ist überflüssig (?); die Unterscheidung ermöglicht erst eine differenzierte Wahrnehmung/ ...Die Tanzeinheiten: Die Tanzeinheiten fanden wie gewohnt vormittags nach der Seminararbeit und am späteren
Nachmittag statt. Neu war, dass sich die drei Tanzgruppen nach dem Grad der Tanzerfahrung der Teilnehmer gemäß Selbsteinschätzung zusammenfanden („Fortgeschrittene1“, „Fortgeschrittene2“, „Masters“).
Einige der Tänze, die wir mit Elvira Göbert tanzten, hatten dem Thema der Tagung entsprechend einen deutlich weiblichen oder männlichen Charakter. Besonders erwähnenswert waren da die beiden rumänischen Frauentänze „Hora Fetelor“ und „Hora Lautareasca“. Sich zu wunderschönen Melodien in ruhigen, fließenden Figuren zu bewegen, das war auch für die männlichen Teilnehmer – von 69 Teilnehmern waren 12 männlich – ein Genuss und wunderbarer Ausgleich zu anderen mitunter sportlichen Tänzen. Hora Fetelor erwies sich zudem im Anschluss an die Tanztagung auch für eine zwölfte Klasse im Schulunterricht als gut geeignet. Überhaupt sind meiner Erfahrung nach viele Tänze der vergangenen Tanztagungen gerade auch für Oberstufenklassen im Schulalltag attraktiv. Die Tänze von Ulla Schüller sind immer wieder darauf ausgerichtet, dass sie auch in der Unterstufe getanzt werden können. Ein eindrucksvolles Beispiel war diesmal ein Quodlibet
aus „Heissa Kathreinerle“, „O du lieber Augustin“ und „Alle Leut gehn nach Haus“, das in drei (Klein)gruppen als Quodlibet getanzt, mit Stöcken rhythmisch begleitet und gesungen wurde. Lustig war es und eine schöne Koordinationsaufgabe, lediglich das Singen ging etwas im Klopfen der Stöcke unter. Mit schnellen und dynamischen Tänzen teilweise mit modernen „Sound“ schafft es Benedikt Lux, auch junge – also auch Unterzwanzigjährige – für das Kreistanzen zu begeistern. So kam dieses Jahr eine größere Anzahl junger Menschen zur Tanztagung, was das Durchschnittsalter der Tagungsteilnehmer erfreulich beeinflusste. Besonders „fetzig“ war diesmal der georgische Tanz „Karapet“. Ein schneller Paar-Kreistanz mit russisch anmutender Musik und Bewegungen, die so auch im israelischen Tanz oder im Rock’n Roll vorkommen können –
eine große Bewegungsfreude tatsächlich für jung und alt. Zur Musikauswahl sei angemerkt, dass es bei Tänzen wie z.B. „Garun“ auch neue Aufnahmen
im „klassischen“ Stil gibt, die für junge Leute ähnlich ansprechend sind wie die „elektronischen“ Versionen, aber musikalisch vielleicht doch gehaltvoller. Ganz am Tagungsmotto orientiert waren die Tänze von Hildegunde Luther. Wir lernten sehr verschiedene Frauentänze kennen: Russische Reigen wie z.B. „Gorenka“, die wie schwebend in ruhigen Bewegungen getanzt wurden einerseits, andererseits den rumänischen „Craitele“, der mit schnellen straffen Schritten auf den Fußballen getanzt wurde. Und ganz im Gegensatz dazu stand dann der Männertanz „Arcanul“ der u.a. getanzt wurde, um Rekruten für den Kriegsdienst anzuwerben.
Besonders gut ist es Hildegunde Luther gelungen, auch beim Unterrichten mit uns Erwachsenen so mit uns Teilnehmern umzugehen, wie es Lehrer mit Kindern und Jugendliche m Idealfall tun: Ruhig, klar und mit Überblick stets jeden da abholen wo er gerade ist oder wo er Hilfe braucht.
Insgesamt wurden so in zwei Tagen 18 Tänze gelehrt und gelernt, das scheint rekordverdächtig. Möglich war dies nicht zuletzt durch die engagierten und sehr gut vorbereiteten Tanzanleiter. Mitunter entstand jedoch durch die Vielzahl und Art der Tänze eine Dynamik von „noch schneller“, „noch mehr“, „in noch kürzerer Zeit“, ... Die Gruppeneinteilung nach Tanzerfahrung hat hier möglicherweise ungewollt einen Beitrag dazu geleistet. Vielleicht könnte in den nächsten Tanztagungen neben dieser eher männlichen Herangehensweise – um beim Thema zu bleiben – auch wieder das weibliche Einfühlen wichtiger werden. So ist es bestimmt für Fortgeschrittene spannend, nicht nur die vielen Schritte zu erlernen, sondern auch noch tiefer in das Wesen der Tänze einzutauchen (Hintergrund, Symbolik, Ausdruck).Der Höhepunkt: am letzten Abend wurde traditionsgemäß ein Fest gefeiert, diesmal mit dem Motto „Genderstudies – Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald“. Jeder wurde im „Allgemeinem
Klinikum für Gender“ empfangen. Hier wurden kompetent sowohl Notfälle als auch chronisch Hormonverwirrte diagnostiziert und behandelt. In der folgenden Polonaise, bei der die Musiker fast jeden Musikstil integrierten und so zu den verschiedensten Bewegungen animierten, war dann Bewegungs- und Spielfreude ungehemmt allgegenwärtig. Bei der neuen
Hänsel und Gretel-Version wurde dann aus dem Hexenhaus eine end konkret krasse Döner-Bude und auch andere Teilnehmerbeiträge ließen den Abend wie im Flug vergehen. Nach all den Spielen, Darbietungen und natürlich den ganzen gelernten neuen Tänzen endete der Abend ruhig und besinnlich mit einem armenischen Tanz, hier verband sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit der eigenen inneren Sammlung – ein wunderbarer Abschluss. Noch zu erwähnen: Die jüngste Teilnehmerin war dieses Jahr 10 Jahre. Unterricht zu so gekonnter Live-Musik wie hier in Loheland ist wohl einzigartig. Einige Teilnehmer würden auch nächstes Jahr gerne wieder Vorjahrestänze in Eigeninitiative wiederholen. Von der Terrasse aus konnten man gleichzeitig Esel mit kleinem Fohlen, Kühe mit Kälbern und Schafe sehen. Das Essen war gut und genug.
So werden sich viele auf die nächste Tanztagung in Loheland freuen.


Mai-Tanztagungin Loheland 2010  von Mechtild Nagel
„Die Welt dreht sich, aber tanzt sie noch?

Dasparkähnliche Gelände der Loheland Stiftung empfing uns im Maienschmuck mitaufblühenden Maiglöckchen, weiß blühendem Sauerklee, vielen Vergissmeinnichtund warmem Sonnenschein. Welch ein Rahmen für eine Maien-Tanztagung! Um esgleich vorwegzunehmen: so schön habe ich noch selten im Mai getanzt!Getanzthaben wir – von morgens bis in die Nacht – so gefühlte 50 unterschiedlicheTänze aus verschiedenen Ländern, überwiegend aus den Balkanländern und ausIsrael.Perfektangeleitet, eingewiesen und geführt in die Tänze haben uns Elvira Göbert,Hildegunde Luther und Benedikt Lux, unsere Seminarleiter und -innen.  Musikalischbegleitet wurden wir dabei von einer Band - die sich zu diesem Anlass gefundenhatte - mit viel Einfühlungsvermögen, Temperament,  Geduld und einer unglaublichen musikalischenund instrumentalen Präsenz und Vielfalt. DreiWorkshops, diverse Tanzeinheiten, Seminar- und Ergänzungsangebote bestimmtenden Tagesablauf. In jedem der Workshops – in kleineren Gruppen durchlaufen - lerntenwir ca.2-4 neue Tänze. Auch hier vermittelte die Life-Begleitung durch die tollen Musiker in den einzelnen Gruppen nichtnur ganz viel Lebendigkeit, sondern gab uns und unseren InstruktorInnen auchdie Möglichkeit, manche Teile nach Notwendigkeit und Bedarf zu wiederholen oderan das Lerntempo anzupassen.Am Abend wurden dieeinstudierten Tänze dann voller Begeisterung in der großen Gruppe getanzt und entfaltetenhier noch einmal eine ganz andere Wirkung im Erleben  von Synchronizität  und archaischer  Wirkkraft von Großgruppe.Was fürein tiefes beglückendes Gefühl von Gemeinsamkeit und - ja auch Geborgenheitentsteht bei gleichzeitigem individuellem Kraft-, Intelligenz- und Bewegungseinsatz. Ich kann mich mit bestimmten – mehr oderweniger gekonnten – klaren Bewegungsabfolgen in ein bewegtes Größeres  eingliedern und wahrnehmen, wie ich meineneindeutigen Anteil am Gelingen des Gesamten habe. Eine spannende und in diesemKontext wunderschöne Erfahrung insbesondere für   ansonsten eher massenbewegungsscheueMenschen.
Es war zu spüren, dass diese Freude am Tun von allen geteilt wurde.  Life-Musik zum Tanz gab´s  leider „nur“ bis 22Uhr. Danach ging’s  aber weiter mit Benedikts„Let´s  Fetz“, viele Tänze, vieleTanzwünsche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer - mit  enormer Energie, viel Spaß und Kompetenzangeführt und angeleitet.
Es ist schon ein Phänomen, wie viel Energie hier freigesetzt wurde, wie vielnoch am späten Abend gelernt werden konnte. Es müssen sich durch das Tanzen dochwohl eine ganze Menge an Hormonen ausschütten, die so viel Energie freisetzen.

Bei so vielen unterschiedlichen Tänzen noch unterscheiden zu können, welche Bewegung zu welchem Tanz, welche Musikdazu gehört, war mir als Neuling kaum möglich. So schnell kann mein Kopf garnicht begreifen, wie die Füße in der Nachahmung einfach tun. Zugegeben,  mit manchen Knoten und  unvorhersehbaren Verhaspelungen. Aber mitzunehmendem Erfolg!  Es schien, als obsich im Laufe von vier Tagen doch einiges in den Füssen als gelerntherausstellt, was im Kopf  noch langenicht verdaut ist. Es war richtiggehend zu spüren, wie sich Lernen vollzog, dieSynapsen im Hirn sich neu verknüpften und Bewegungsabfolgen ermöglichten, diezu Beginn her kaum vorstellbar waren.
„Kreistanzen ist wie Sudoku und Nordic Walken gleichzeitig“  meinte meine Freundin, die mich mit nachLoheland genommen hatte.
Die Beschreibung der Tänze mit Noten in den ausliegenden Begleitheften zurTagung wird sicherlich hilfreich für das nachhaltige Erinnern der Tänze sein.Wirwollten einfach immer weiter tanzen. Einer der Musiker kam am dritten Tage aus demTanzsaal heraus mit der erstaunten Bemerkung: „Die können gar nicht mehr aufhören!“
Ich habe mich ebenfalls gefragt, wo nehme ich – eine eher ungeübte und nichtregelmäßig tanzende Nicht-Sportlerin die Energie und Ausdauer her, soviel zutanzen. Wenn es dann schon mal  hieß:
„Pause für die, die wollen“  und mitdiesen Worten wurde die Musik zu einem Balkan-Beat angespielt,  dann riss es fast alle vom Stuhl auf dieTanzfläche und niemand wollte „Pause“. Auf ausreichende Trinkpausen wurde vonSeiten der Leitungs-Crew allerdings genau geachtet. Auf die empfohlenen 3 Litertrinken kam ich endlich mal  locker.Wohltuendaufweckend und Energie-aufschließend waren die frühmorgendlichen  Ergänzungseinheitenmit Ulla Schüller. Ebenfallsvon ihr angeboten wurde eine Mittags-Gesprächseinheit für diejenigen, die sichzu pädagogischen Formen und didaktischen Möglichkeiten der Umsetzung vonFolkloretänzen an Schulen und in Schulklassen austauschen wollten. Gestützt wurde das Lernen  in denWorkshops  durch den morgendlichstattfindenden seminaristischen Austausch.
Hier näherten wir uns über erlebnisorientierte Aufgabenstellungen aus Tanztherapieund Theaterpädagogik, im Partner- und  Gruppendialog  dem Thema der Tagung: „Die Welt dreht sich,aber tanzt sie noch?
Ausgehendvon der Frage, wie wir die Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche imZeitalter internetbasierter Vereinzelungs-tendenz zu Begegnung animieren und zugemeinsamem Tanzen hinführen können, entwickelten sich Fragen undGesprächsansätze wie z.B.: Wie viel Nähe und Distanz leben wir inunseren Begegnungen?  Wie viel Nähe undDistanz können wir in der Begegnung überhaupt zulassen? Welche  Nähe- / Distanz-Möglichkeiten,  -Bereitschaft und –Fähigkeit prägen uns, dieKinder und Jugendlichen? Wie erleben wir körperliche Nähe  in der „unausweichlichen“, körperlichaufgeheizten, folkloristischen Kreistanz-Situation? Was löst das  in Kindern und Jugendlichen aus?
Wie gerne fassen wir, fassen wohl Jugendliche andere, vielleicht verschwitzteMenschen an? Wie ehrlich kommunizieren wir unsere Befindlichkeit mit unseremGegenüber? Wie offen kann und will ich sein? Was verändert sich möglicherweisedurch das gemeinsame Tanzerlebnis?Den Transfer zur kindlich- jugendlichenWahrnehmung und zur Wahrnehmung seiner selbst herzustellen, war Ansatzder Seminararbeit, die hier Reflexions-Impulse setzte, für die der Eine oderdie Andere sich vielleicht mehr Dialog-Raum gewünscht hätte.  Wirhaben mit Freude viel gelernt und getanzt und dies fand seinen Höhepunkt imsamstäglichen bunten Abend, der neben der  nun schon fast professionellen Aufführungsämtlicher gelernter  und schon gekonnterTänze auch Raum gab für diverse, sehr lustige dem Motto des Abends: „Online-dance in the chatroom“, entsprechende Kostümierungen. Bühnenreif war das Kabinettstückchenunserer Seminar-Oberen über die „Online-Bestellung dreier Traumtänzer für dreiFreundinnen“. ROFL!!!! (rolling on the floor laughing).DasThema „Chatroom“ war klasse aufgegriffen in Raumgestaltung und Choreographie.In Kleingruppen,  kreisweise Rücken anRücken sitzend, hatten wir „quasi im Chat“ kleine Tanzarrangements zu verschiedenenThemenkreisen auszuhecken.
Wunderbar romantisch waren  dasLiedersingen am Riesenfeuer und die meditativen Reigen bei Kerzenschein.
Let´s Fetz ließen viele sich nicht nehmen – zum guten Schluss die Nacht fastdurch.Wirhatten kompetente, professionelle und einfühlsame Lehrer – Benedikt, Elvira undHildegunde – jede(r)  auf seine, ihreeigene  Art. Ihre unterschiedlichenPersönlichkeiten und Tänze sprachen unterschiedliche Bedürfnisse, Themen,Dimensionen und Teilnehmerpersönlichkeiten an, sei es die Begeisterung amTanzen, sei es die Gründlichkeit und didaktische Genauigkeit in derVermittlung, sei es die Beseeltheit und Gefühlsausrichtung  eines Tanzes, sei es die historischeRealität, die einen Tanz hat entstehen lassen etc. Ichfuhr mit bewegten Gliedern und bewegtem Herzen, mit viel seelischer undkörperlicher Energie und einem gewissen Schlafbedürfnis nach Hause.  Bevor ich mich allerdings wieder in meinenFamilien- und Berufsalltag stürzte, tanzten wir - autobeschallt - auf dem Platzvor unserem Haus  noch einmal „unseren“Balkanbeat.Allesin allem war es ein großartiges Erlebnis, mir sind tolle Menschen begegnet, dasGrossgruppen-Tanzen hat etwas wunderbar Archaisches, Ermutigendes undStärkendes.
Dennächsten Tanztagungs-Termin vom 12.-15. Mai 2011
in Loheland  habe ich im Kalender schon notiert.
Mechthild Nagel